Jens Spahn im RND-Interview: „Deutschland hat jetzt einen schwarzen Sheriff“

Sein Büro mit Blick auf die Spree hat Jens Spahn (45) noch nicht richtig eingerichtet. Aber eine Kaffeemaschine ist schon da. Und nicht nur der Kaffee ist beim Interview mit dem neuen Fraktionschef schwarz.
Herr Spahn, die neue schwarz-rote Regierung hat sich einen „Politikwechsel“ vorgenommen. Vor allem ist sie aber auf einen Stimmungsumschwung im Land angewiesen. Wie soll Ihnen das gelingen?
Es gibt bereits drei Indikatoren für den Politikwechsel. Erstens: In Europa wird durch Kanzler Friedrich Merz wieder Führung aus Deutschland sichtbar. Zweitens: Innenminister Alexander Dobrindt hat mit der Grenzsicherung vom ersten Tag an die Migrationswende eingeleitet. Er ist jetzt Deutschlands schwarzer Sheriff. Und drittens: Das Vertrauen der Investoren kehrt zurück, wie man am DAX sehen kann. Er ist seit Ende der Koalitionsverhandlungen um 20 Prozent gestiegen. Das ist ein Plus von etwa 500 Milliarden Euro.
Es heißt, dass der DAX besser aussieht, als die Lage wirklich ist …
Die Zahlen zeigen, welchen großen wirtschaftlichen Wert Vertrauen in gute Politik hat. Da mögen Vorschusslorbeeren dabei sein, aber das ist ein positives Signal, nachdem jahrelang Geld aus Deutschland abgeflossen ist. Wichtig ist, dass wir das neue Vertrauen und die Zuversicht nicht enttäuschen.
Bundeskanzler Friedrich Merz sagt, dass die Bürgerinnen und Bürger wieder mehr arbeiten sollen, um die Volkswirtschaft flott zu machen. Muss die Regierung nicht zuvor dafür die Voraussetzungen schaffen - zum Beispiel durch verlässliche Kinderbetreuung?
Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verlängern wir erst einmal das Ganztagsausbauprogramm. Es muss sich zudem vor allem lohnen, mehr zu arbeiten. Überstunden werden steuerlich bessergestellt, Ältere können bald über eine Aktivrente hinzuverdienen. Wir setzen auf Freiwilligkeit. Eine Erhöhung des Arbeitsvolumens allein reicht nicht, es braucht auch mehr Arbeitsproduktivität. Die wollen wir herstellen durch einen steuerlichen Booster für mehr Investitionen in Digitalisierung, künstliche Intelligenz und neue Maschinen.

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Den Kanzler haben wir so verstanden, dass in unserer Gesellschaft zu viel Wert auf Work-Life-Balance gelegt wird und es zu wenig Willen zum Anpacken gibt.
Wenn die Mehrheit der Deutschen sieht, dass die Regierung selbst anpackt, dann wird es auch insgesamt wieder mehr Lust dazu geben. Wir müssen aber auch eine Haltungsfrage stellen: Ist Arbeit nur die unangenehme Unterbrechung der Freizeit? Für CDU und CSU gehört Arbeit zum Menschsein und zur eigenen Identität. Eine positive Einstellung zur Arbeit ist im besten Sinne typisch deutsch.
Muss das Bürgergeld vielleicht zeitlich begrenzt werden - auf ein Jahr?
Was vor allem begrenzt werden muss, ist der massive Aufwuchs des Bürgergeldes. Insgesamt werden pro Jahr im Bundeshaushalt inzwischen 52 Milliarden Euro dafür aufgewendet. In Deutschland muss das Existenzminimum sichergestellt sein. Zentral ist aber das Prinzip: Wer arbeiten kann, sollte arbeiten oder seinen Leistungsanspruch verlieren. Die Bevölkerung wird es auf Dauer auch nicht akzeptieren, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund und mit einer erst kurzen Aufenthaltsdauer in Deutschland beim Bürgergeld stetig steigt. Das ist sozialer Sprengstoff. Wir wollen gesellschaftlichen Frieden herstellen.
Jens Spahn
, Unionsfraktionschef
Nach Ihrer Wahl zum Fraktionsvorsitzenden hat CSU-Chef Söder gesagt: ‚Der Jens kann auch loyal‘. Man hatte den Eindruck, dass Sie die Antwort unterdrücken mussten: ‚Das musst du gerade sagen.‘ War es so?
Ich freue mich immer, wenn Markus Söder die Sachverhalte richtig darstellt.
Im Umkehrschluss bedeutet die Södersche Äußerung aber, dass Sie sonst nicht loyal sind.
Ich glaube nicht, dass Markus Söder das damit sagen wollte. Markus Söder, die CSU und ich, wir haben ein gutes Verhältnis. Schon lange, ich bin sogar CSU-Gastmitglied. Für das Vertrauen, das die beiden Parteivorsitzenden in mich setzen, bin ich dankbar.

Jens Spahn, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Quelle: photothek.de
Wie gut können Sie mit Ihrem wichtigsten Verhandlungspartner, SPD-Fraktionschef Matthias Miersch?
Entscheidend ist gegenseitiges Vertrauen. Wir werden sicher beide hart für die Positionen unserer Fraktionen einstehen. Aber man muss wissen, was man sich gegenseitig zumuten kann. Und am Ende geht es darum, tragfähige Kompromisse zu finden. Es gibt das schöne chinesische Sprichwort: Was du nicht aufhalten kannst, kannst du auch gleich begrüßen. Die Begrenzung illegaler Migration sollte genauso ein gemeinsames Projekt sein wie der Mietpreisdeckel. Ich bin ganz sicher, dass es nun besser wird als in der Ampel und früheren großen Koalitionen. Die letzte GroKo war vor der Corona-Pandemie voll unten durch bei den Leuten, stehend k.o. Da dürfen wir nicht wieder landen.
Sie polarisieren aber ganz gerne. Sie haben über die AfD gesagt, man solle sie behandeln, wie andere Oppositionsfraktionen auch und waren verwundert, dass das als Aufruf zur Normalisierung der AfD verstanden wurde.
Nein, ich habe erst einmal hergeleitet, dass ein Vizepräsident im Bundestag die Mehrheit braucht, um das Parlament repräsentieren zu können. Und dann habe ich einen Satz angefügt, dass man ansonsten im parlamentarischen Ablauf, bei den Organisationsfragen, bei den Mehrheits- und Minderheitsrechten, die AfD behandeln sollte wie alle anderen. Ich habe nicht einmal vom Ausschussvorsitzenden gesprochen. Und natürlich hat ein Abgeordneter der AfD die gleichen Fragerechte wie ein Abgeordneter der Grünen. Aus meiner Sicht war das ein erklärender Satz.
Nun gibt es die klare Maßgabe der Unionsfraktion, dass sie keinen AfD-Abgeordneten zum Ausschussvorsitzenden mitwählen wird. Ist der aktuelle Verfassungsschutzbericht der Grund dafür?
Natürlich hat die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz etwas verändert.
Wie wollen Sie Wählerinnen und Wähler am rechten Unionsrand wieder einbinden, die enttäuscht sind, weil die Union Wahlkampfversprechen nicht gehalten hat? Stichwort Migration und Schuldenbremse.
Eine breite Mitte im Land will diese Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre nicht. Eine breite Mitte hat es satt, dass wir nicht wissen, wer warum unser Land betritt, und dass jeder ab Tag eins Sozialleistungsanspruch hat. Dafür gibt es keine Akzeptanz. Für diese Mehrheit machen wir Politik - zu der gehört übrigens auch die Mehrheit der SPD-Wähler. Deshalb gibt es seit Tag eins unserer Regierung eine Migrations- und Asylwende. Auch Asylsuchende werden zurückgewiesen an den deutschen Grenzen. Wir werden den Familiennachzug aussetzen. Wir werden die Turboeinbürgerung beenden. Und ich kann Ihnen sagen, eine große Mehrheit der Deutschen ist sehr zufrieden mit den vergangenen zwei Wochen.
Jens Spahn
, Unionsfraktionschef
Deutsche Nachbarstaaten sind nicht so zufrieden. Polen zum Beispiel. Können Sie leicht verständlich erklären, auf welcher Rechtsgrundlage die Grenzkontrollen verschärft und Migranten zurückgewiesen werden - und warum Ihrer Ansicht nach EU-Recht nicht gebrochen wird?
Einreisenden aus sicheren Drittstaaten ist die Einreise zu verweigern, das steht genauso im Gesetz. Der Befehl aus 2015, davon abzuweichen, wurde endlich wieder aufgehoben. Und wenn Sie es in einfachen Worten hören wollen: Alexander Dobrindt hat als Bundesinnenminister den Rechtszustand wieder hergestellt, der vor der Flüchtlingskrise im September 2015 galt. Migranten müssen nach EU-Recht übrigens ihr Asylverfahren dort beantragen, wo sie erstmals europäischen Boden betreten haben.

Jens Spahn im Gespräch mit der stellvertretenden Leiterin des RND-Hauptstadtbüros, Kristina Dunz (Mitte) und der RND-Chefredakteurin und Leitern des Hauptstadtbüros, Eva Quadbeck (r.).
Quelle: photothek.de
Demnach käme kaum jemand nach Deutschland.
Es wird gerne so getan, als könnten Menschen nur Schutz in Deutschland finden. Das grenzt an nationalen Hochmut. Die Niederlande, Frankreich, Belgien, Luxemburg, die Schweiz, Österreich, die Tschechische Republik, Polen, Dänemark - soweit ich das überblicke, sind das alles Länder, in denen man sicher ist und menschenwürdig behandelt wird. Ich bin überzeugt, dass auch unsere Nachbarn ein großes Interesse daran haben, dass der deutsche Pull-Effekt nach Europa beendet wird. Wir werden nicht zusehen, wie bei uns die Stimmung im Land kippt und wir instabile politische Verhältnisse bekommen. Wie es den Bürgern in Deutschland dabei geht, ist mir mindestens so wichtig wie die Frage, wie man in Bern oder in Wien findet, was wir tun.
Interessieren Sie auch die Probleme der EU-Partner an den EU-Außengrenzen?
Natürlich. Unser Signal für eine neue Flüchtlingspolitik ist erst der Start, nicht das Ende. Selbstverständlich wollen und müssen wir das Problem europäisch lösen. 16 Mitgliedstaaten wollen Änderungen erarbeiten - übrigens unter Führung der sozialdemokratischen dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Wir wollen mit sicheren Drittstaaten Abkommen schließen. Deutschland stand da bisher immer auf der Bremse, das ändert sich jetzt.
Sie haben einmal gesagt, es brauche einen Stopp der illegalen und irregulären Migration. Schon während der Ampelzeit sind die Zahlen gesunken. Welche Zielgröße streben Sie jetzt an?
Die Zielgröße ist natürlich Null. Was illegal ist, sollte nicht stattfinden. Kriegt man die Zahl auf null? Wahrscheinlich nicht. Die absolute Zahl ist von 350.000 auf 250.000 Migranten innerhalb eines Jahres gesunken. Aber diese Zahl ist immer noch viel zu groß. Die Kommunen können nicht mehr. Illegale Migration weitestgehend beenden, das ist das Ziel.
Sie haben immer enge Kontakte zu Republikanern in den USA gehabt. Machen Sie sich Sorgen, dass das transatlantische Verhältnis mit Donald Trump zerbrechen wird?
Die transatlantische Partnerschaft ist für uns existenziell. Deutschland und Europa sind nicht sicher ohne die Vereinigten Staaten. Ein Großteil unseres Wohlstandes hängt von den USA ab. Und deswegen hoffe ich, dass möglichst viele Abgeordnete gute Kontakte in die USA unterhalten und wir das Verhältnis stabilisieren können. Wir werden ohne die USA Wladimir Putin auch nicht zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine überzeugen.
Bisher hat Trump sein Ziel des Kriegsendes nicht erreicht.
Aber die Europäer haben es unter der Führung von Friedrich Merz geschafft, dass sich Donald Trump mit dem Thema ernsthaft befasst. Und diese Botschaft dürften auch die Putin-Unterstützer in Deutschland vor allem bei AfD, BSW und Linkspartei verstehen: Der, der keinen Frieden will, ist Putin. Die Angebote zu Waffenstillstand und Friedensverhandlungen liegen auf dem Tisch. Die Ukraine ist bereit, einen weiten Weg zu gehen. Putin will die Diplomatie nicht, von der Gregor Gysi und Co seit drei Jahren sprechen. Putin will Krieg.
rnd